In der Welt der Strafverteidigung ist die Identifizierung von Tätern oft ein entscheidendes Element, das über Schuld oder Unschuld entscheidet. Ein zunehmend diskutiertes Phänomen in diesem Kontext ist der Einsatz von sogenannten Super-Recognizern. Diese Personen haben angeblich eine außergewöhnliche Fähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen, auch wenn sie diese nur einmal gesehen haben. Aber wie verlässlich sind diese Identifizierungen wirklich und welche Rolle spielen sie in der Strafverteidigung?

Was ist ein Super-Recognizer?

Super-Recognizer sind Menschen, die weit überdurchschnittliche Fähigkeiten im Bereich der Gesichtserkennung besitzen. Sie können Gesichter auch nach langer Zeit und unter veränderten Bedingungen korrekt identifizieren. Diese Fähigkeit soll die der durchschnittlichen Bevölkerung erheblich übertreffen und in der Strafverfolgung und bei Sicherheitsbehörden von Nutzen sein. Beispielsweisesollen sie Verdächtige oder vermisste Personen auf Videoaufnahmen erkennen, angeblich sogar dann, wenn die Bildqualität schlecht ist oder sich die Person optisch verändert hat. In der Wissenschaft ist diese Fähigkeit noch weitgehend unerforscht und geht auf eine Studie aus 2009 zurück. (Super-recognizers: People with extraordinary face recognition ability, Russell/Duchaine/Nakayama, Psychonomic Bulletin & Review 2009, 16 (2), 252–257)

Angeblich wissenschaftlicher Hintergrund

Die wissenschaftliche Forschung zu Super-Recognizern steckt noch in den Kinderschuhen. Während Prosopagnosie, die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, bereits gut erforscht ist, gibt es zu Super-Recognizern bisher nur wenige tiefgehende Studien. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Fähigkeit tatsächlich existiert. Das Problem liegt eher darin, nachzuweisen, dass jemand wirklich ein Super-Recognizer ist. Hierfür fehlen bisher standardisierte diagnostische Verfahren.

Rechtliche Herausforderungen der Super-Recognizer

Der Fall eines Angeklagten vor dem Landgericht Berlin, der unter anderem wegen besonders schweren Raubes verurteilt wurde, verdeutlicht die rechtlichen Herausforderungen im Umgang mit Super-Recognizern:

In diesem Fall war die Aussage einer Polizeibeamtin, die als Super-Recognizerin identifiziert wurde, ein zentraler Aspekt des Verfahrens. Sie erklärte, den Angeklagten aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit wiedererkannt zu haben. Die Verteidigung stellte die Zuverlässigkeit und den Beweiswert dieser Aussage infrage und legte Revision ein.

Der Bundesgerichtshof (BGH) betonte in seiner Entscheidung, dass die wissenschaftliche Basis für die Fähigkeiten von Super-Recognizern noch nicht abschließend geklärt sei. Daher müsse der Beweiswert ihrer Identifizierungen mit den gleichen Maßstäben wie bei anderen Zeugenaussagen bewertet werden. Die Identifizierung durch einen Super-Recognizer allein stellt somit keinen ausreichenden Beweis dar und kann lediglich als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen dienen. Es ist dabei wichtig zu beachten, dass Super-Recognizer grade keine Sachverständigen sind, wie beispielsweise psychiatrische Gutachter.

Strafverteidigung und Super-Recognizer

Als Strafverteidiger ist es entscheidend, die Aussagen von Super-Recognizern kritisch zu hinterfragen und ihren Beweiswert sorgfältig zu prüfen. Es muss sichergestellt werden, dass die Identifizierung nicht isoliert betrachtet, sondern durch ergänzende objektive Beweismittel unterstützt wird. Eine sorgfältige Beweiswürdigung ist unerlässlich, um Fehlurteile zu vermeiden.

In der Praxis bedeutet dies, dass der Strafverteidiger die Qualifikation des Super-Recognizers hinterfragen und auf mögliche Fehlerquellen hinweisen sollte. Beispielsweise ist es wichtig, herauszuarbeiten, ob die Identifizierung unter standardisierten Bedingungen erfolgte und ob alternative Erklärungen für die Wiedererkennung ausgeschlossen werden können. Ein anthropologisches Sachverständigengutachten kann dabei helfen, die Identifizierung durch einen Super-Recognizer zu überprüfen und objektive Kriterien einzuführen.

Die aktuellen Entwicklungen

Der Einsatz von Super-Recognizern in der Strafverfolgung wird voraussichtlich zunehmen. Die Polizei in verschiedenen Bundesländern testet bereits systematisch ihre Beamten auf diese Fähigkeit. So werden in Baden-Württemberg beispielsweise alle Polizeipräsidien getestet, und an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen ist die Testung der Absolventen obligatorisch.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die rechtliche Handhabung dieser Zeugenaussagen weiterentwickeln wird. Derzeit gibt es keine spezifischen gesetzlichen Regelungen oder Leitlinien für den Einsatz von Super-Recognizern. Die Rechtsprechung ist hier gefordert, klare Standards zu setzen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Beweiswürdigung einfließen zu lassen. Der BGH hat sich nun zum Super-Recognizer als Beweismittel geäußert. Dieser hat klargestellt, dass die Identifizierung durch einen Super-Recognizer alleine keinen ausreichenden Beweis darstellt. Solche Aussagen können lediglich als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen dienen. Der Beweiswert des Super-Recognizers ist daher gering:

„Angesichts der wissenschaftlich nicht abschließend geklärten Qualifikation von „Super Recognizern“ (vgl. etwa Vomland/Thielgen/Schade, Kriminalistik 2022, 165; Artkämper/Weise, StV 2023, 340, 347; kritisch Becker, StRR 2023, 6, Heft 12) dürfte hinsichtlich des Beweiswerts von Identifizierungen oder Wiederkennungsleistungen solcher Zeugen davon auszugehen sein, dass insoweit keine anderen Maßstäbe gelten, als bei anderen Zeugen (vgl. auch Sticher/Grasnick, Kriminalistik 2019, 369, 374: Die vom „Super Recognizer“ geleistete Identifizierung hat allein noch keinen Beweiswert, kann aber wichtige Hinweise für neue Ermittlungsansätze geben). Das muss jedenfalls gelten, solange ein höherer Beweiswert wissenschaftlich nicht begründet ist; solches wäre gegebenenfalls vom Tatgericht – naheliegend mit sachverständiger Unterstützung – aufzuklären und im Urteil in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Art und Weise darzulegen. Der von der Zeugin für sich in Anspruch genommene Status einer „wissenschaftlich identifizierten Super Recognizerin“ genügt dafür erkennbar nicht.“

Die Fehlerquote der Super-Recognizer

Dass Super-Recognizer durchaus irren, ist nicht neu: Schon beim sog. Paketbomber-Fall (LG Heidelberg StV 2022, 377 m. Anm. Becker) wurden Super-Recognizer eingesetzt, um ein schwaches Ermittlungsergebnis künstlich auszubauen.

Trotz aller angeblich wissenschaftlichen Testung sind Super-Recognizer weit davon entfernt, ein belastbares Beweismittel zu sein. Ihre Wahrnehmungen sind schon aus der Natur der Sache nicht nachprüfbar. Wer nicht überprüfbar ist, kann behauptet, was er will. Ein Beweis kann das aber nicht sein.

Die hohe Fehlerquote ist auch – anders als die angeblich besonders guten Fähigkeiten – wissenschaftlich belegt. Im Rahmen einer Untersuchung (Bobak/Hancock/Bate, Applied Cognitive Psychology 30: 81–91, 2016) wurde eine Fehlerquote von Super-Recognizern von einem Drittel festgestellt. Das war nur wenig besser als die Kontrollgruppe und ist erschreckend nah an der Erfolgsquote eines Münzwurfs.

Zeugenaussagen weiterentwickeln wird. Derzeit gibt es keine spezifischen gesetzlichen Regelungen oder Leitlinien für den Einsatz von Super-Recognizern. Die Rechtsprechung ist hier gefordert, klare Standards zu setzen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Beweiswürdigung einfließen zu lassen. Der BGH hat sich nun zum Super-Recognizer als Beweismittel geäußert. Dieser hat klargestellt, dass die Identifizierung durch einen Super-Recognizer alleine keinen ausreichenden Beweis darstellt. Solche Aussagen können lediglich als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen dienen. Der Beweiswert des Super-Recognizers ist daher gering.

Fazit

Super-Recognizer können wertvolle Hinweise in der Strafverfolgung liefern, ihre Aussagen dürfen jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Eine kritische Prüfung und die Ergänzung durch objektive Beweismittel sind unerlässlich, um die Verlässlichkeit der Identifizierung sicherzustellen. Als Strafverteidiger ist es meine Aufgabe, die Rechte meiner Mandanten zu schützen und für eine faire Beweisaufnahme zu sorgen. Bei rechtlichen Fragen oder der Verteidigung in strafrechtlichen Angelegenheiten stehe ich Ihnen mit meiner Expertise und vollem Engagement zur Seite.

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