Viel oder wenig: Die Gesetzgebung hat an bestimmte Mengen verbotener Substanzen verschiedene Rechtsfolgen geknüpft. Eröffnet die geringe Menge, ausgehend von der Rohmenge des Stoffes, oft eine Einstellung des Verfahrens, verknüpft das BtMG und auch das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) mit der nicht geringen Menge, ausgehend von der Menge des Wirkstoffes, empfindliche Strafen. Aus dem Gesetz selbst ergibt sich dabei nicht, wo genau diese Grenzen verlaufen. Die bisherige Rechtsprechung zum KCanG ist dabei erschreckend hart. Ein Grund mehr, einen spezialisierten Strafverteidiger zu beauftragen.
Die aktuelle Rechtsprechung
§ 34 Abs.1 KCanG bestraft den einfachen Verstoß gegen das KCanG mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die erlaubte Besitzmenge von 60g Cannabis überschritten wird. § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG bestimmt ein Regelbeispiel des besonders schweren Falles und nimmt einen solchen an, wenn sich die Tat auf eine nicht geringe Menge bezieht. Dieser besonders schwere Fall wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Der BGH beharrt auf dem gleichen Grenzwert zur nicht geringen Menge, welchen er auch schon für Cannabis als Betäubungsmittel angesetzt hat und stellt sich damit gegen den Gesetzgeber. Er setzt die nicht geringe Menge wie schon seit 1984 bei 7,5g Tetrahydrocannabinol (THC) an.
Im einzigen bisher ergangenen Beschluss vom ersten Senat des Bundesgerichtshofs (BGH 1 StR 106/24) hat dieser sich mit der Gesetzesbegründung auseinandergesetzt. Dies ist grade deshalb von hoher Bedeutung, da dies den derzeit am stärksten diskutieren Streitpunkt des neuen Konsumcannabisgesetzes betrifft. Allein der Umfang der Entscheidung ist beachtlich. Es geht um die Frage, ab wann auch unter dem neuen gesetzlichen Rahmen von einer nicht geringen Menge auszugehen und damit eine erhebliche Strafverschärfung anzuwenden ist. Der Erste Strafsenat will den Begriff der nicht geringen Menge weiterhin besonders verbotsintensiv auslegen und die Grenze trotz geänderter Rechtslage nicht anheben. Danach bleibt der Grenzwert wie der alte auf Grundlage des BtMG bei 7,5g THC.
Die uneinheitlichen Mengen
Genauso wie im BtMG vermeidet es auch das neue KCanG die nicht geringe Menge zu definieren. Die genaue Ausgestaltung ist bewusst für die Gerichte zur Klärung belassen, damit diese auf etwaige Entwicklungen reagieren können. Bezüglich der Neuregelungen zum Cannabis ist die Rechtsprechung noch sehr uneinheitlich. Es finden sich Entscheidungen verschiedener Instanzgerichte, die zwischen 20g oder sogar 100g THC als Schwelle zur nicht geringen Menge ausgehen. Die Entscheidung des BGH ist grade deshalb überraschend, weil sie zum einen eine der wenigen Entscheidungen ist, welche eine so geringe Grenze für überzeugend hält und zum anderen die Gesetzesbegründung ausdrücklich davon ausgeht, dass die nicht geringe Menge im KCanG auf Grund einer geänderten Risikobewertung deutlich höher liegen müsse als bisher im BtMG. Der erste Senat des BGH stellt sich damit klar gegen den eindeutigen Willen der Gesetzgebung. Dies wird teilweise als rechtswidrige Überspannung der eigenen Befugnisse wahrgenommen.
Erlaubte 60g als nicht geringe Menge
Der BGH definiert die „nicht geringe Menge“ als ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustands erforderlichen Wirkstoffmenge eines Betäubungsmittels. Diese Menge wird durch die Multiplikation einer Einzeldosis mit einer an der Gefährlichkeit des Stoffes orientierten Maßzahl errechnet. Das Ergebnis wird in Konsumeinheiten ausgedrückt. Das „Vielfache“ wird anhand der spezifischen Wirkweise und der potenziellen Gesundheitsgefährdung des jeweiligen Stoffes bestimmt. Insbesondere bei neuen oder wenig erforschten Substanzen orientiert sich die Rechtsprechung an ähnlichen Wirkstoffen, um eine Bewertung vorzunehmen.
Da der BGH sich explizit gegen eine neue Risikobewertung ausspricht, verbleibt er bei der alten Maßzahl. Nach dieser Berechnung entsteht aber ein entscheidendes Problem: Nach neuem Recht wäre der Abstand zwischen der Schwelle der Strafbarkeit und dem besonders schwerem Fall faktisch aufgehoben. Für den Regelfall wäre kein realer Anwendungsbereich mehr da. Das KCanG setzt den Beginn der Strafbarkeit auf den Besitz von mehr als 60g Cannabis. Bei durchschnittlichem THC-Gehalt von Marihuana wäre die nicht geringe Menge von 7,5g THC schon bei 60,1g erreicht. Die „Normalmenge“ wäre also den Fällen vorbehalten, in denen die zulässige Besitzmenge nur geringfügig überschritten und zusätzlich der Wirkstoffgehalt unterdurchschnittlich gering wäre.
Unkenntnis des BGH
In der Entscheidung hieß es ursprünglich wie folgt:
„Zwar ist denkbar, dass auch der Besitz einer die Strafbarkeitsschwelle nur geringfügig überschreitenden Menge Cannabis – also geringfügig mehr als 50g – das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG verwirklicht.“
Man könnte Annehmen, dass die Richter die neuen Regelungen schlicht nicht sorgfältig gelesen haben, denn die Strafbarkeitsschwelle nach liegt unzweifelhaft bei 60g und nicht bei 50g. Kurz nach Veröffentlichung der Entscheidung war diese wieder aus dem Netz genommen worden und sodann mit korrekter Angabe der Gesetzeslage erneut veröffentlicht. Der BGH spricht von einem Schreibfehler. Vielleicht wurde auch nur schon vor tatsächlicher Änderung der Gesetzeslage eine Argumentation vorgefertigt, um an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge festzuhalten.
Unkenntnis des BGH - warum eine andere Grenze der nicht geringen Menge geboten wäre
Nach einer solchen Entscheidung des höchsten deutschen Strafgerichts steht zu befürchten, dass sich eine Vielzahl an Instanzgerichten dem Ergebnis anschließt. Ein solcher blinder Gehorsam ist jedoch nicht zwingend, weshalb eine geschickte Strafverteidigung nun besonders gefordert ist.
Nicht alle Instanzgerichte, die sich zunächst auf Grenzen von 50g oder mehr THC zur nicht geringen Menge festgelegt haben, werden wohl ihre Ansicht ohne weiteres ändern. Es dürften auch weitere Entscheidungen anderer Senate des BGH zu dieser Thematik folgen, weshalb eine Entscheidung des großen Senats für Strafsachen die aktuelle Entscheidung wieder einfangen könnte. Grade mit Blick auf die vom BVerfG im Jahr 1994 getroffene wegweisende Cannabis-Entscheidung erscheint dies geboten. Dort heißt es:
„Sollte diese Auslegung im Blick auf die angedrohte Mindeststrafe mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar sein, ist kein Strafgericht gehindert, die Vorschrift verfassungskonform auszulegen und anzuwenden.“
Sofern Sie mit strafrechtlichen Vorwürfen mit Bezug zu Cannabis oder Betäubungsmitteln ausgesetzt sind, nehmen Sie jederzeit Kontakt zu mir auf. Als spezialisierter Rechtsanwalt für Strafrecht und Strafverteidiger stehe ich verständnisvoll an Ihrer Seite.